2.9.- 8.9.2012
Wir sind angekommen!
In Årrenjarka und Kvikkjokk wissen wir, dass wir das Ziel erreicht haben. Welches Ziel? Eigentlich hatten wir ja kein bestimmtes. Aber genau hier hat uns ein Gefühl „ergriffen“, das noch Jahre später in uns sein wird.
Tag 64: Muddus NP - Jokkmokk - Årrenjarka (20 km vor Kvikkjokk)
Tagesetappe: 146 km, gesamt: 6947 km Ü: Camping Årrenjarka
Regen-Fahr-Einkaufstag in Jokkmokk City. Sonntags sind die Supermärkte von 12 -16 Uhr offen, also füllen wir unseren Proviant für die nächste “Remote”-Etappe nach Kvikkjokk auf.
Den obligatorischen Cappuccino gibt’s am Ende eines Wegs, der wegen des Wasserhochstands direkt in den See führt!
Wir haben den zweiten September und es wird jetzt schon früher dunkel - so sehen wir den lang vermissten Mond.
Tag 65: Årrenjarka
Tagesetappe: - km, gesamt: 6947 km Ü: Camping Årrenjarka Fjällby
Årrenjarka - einer der schönst gelegenen Campingplätze, angeschlossen an ein ebenso schönes Hotel (Architektur, Einrichtung, Terrasse).
Wir erleben das erste gigantische Naturschauspiel (das zweite erwartet uns morgen früh): der Vollmond spiegelt sich im See, rechts und links schwarze Fichten. Ein Spiegelbild des Mondes ist direkt vor uns und so groß wie die Mondscheibe selber. Weit hinten im See, “senkrecht unter” dem Mond sehen wir eine zweite große helle Fläche, wie wenn der Mond seinen Spotscheinwerfer eingeschaltet hätte. Eine wunderschöne Kulisse - wie im Märchen.
Wanderung durch Blaubeerfelder an einem kleinen Flüsschen entlang Richtung Kvikkjokk (bis dahin sind es 19 km, wir gehen etwa 6 - 7 km davon hin und kehren dann um. H.s Beine schwächeln heute etwas. Und wir lernen auf einer Hinweistafel für den Kungsleden folgende Wanderregel: The Chain is as weak as its weakest link.) Auf dem Rückweg sammeln wir Heidelbeeren, die so voll hängen und so groß sind, dass man unmöglich daran vorbeigehen kann. Wir backen uns wieder einen Heidelbeerplatz. Den wievielten eigentlich, den fünften oder sechsten? Wir haben aufgehört zu zählen.
Das Moos und die Blätter der Moltebeeren beginnen mit ihrer Herbstfärbung. Die Landschaft beginnt sich zu verwandeln …
Tag 66: Årrenjarka - Kvikkjokk: Morgenrot und Bootstour bei Regen (4.9.)
Tagesetappe: 20 km, gesamt: 6967 km Ü: wild am Fluss / Bootsanlegestelle Kvikkjokk
5:45 Uhr: H. ist ganz aufgeregt (so wie P., wenn er Wolken sieht). Überm See hängt das schönste Morgenrot: flamingo-rosa-hellorange-gelb (ohne Schriftsteller zu sein, kann man es leider nicht besser beschreiben). Das Rosa überwiegt und zieht sich vom Horizont bis hoch in eine dünne Wolkenschicht. Unbeschreiblich schön, doch ich bezweifle, dass das ein Foto jemals wiedergeben kann. P. ist anderer Ansicht. Wir werden sehen. (Wir zeigen das Ergebnis hier nicht - obwohl es natürlich gut ist - , denn ich bin immer noch der Meinung, dass die Fotos den Eindruck nicht wieder geben können).
Als wir wieder aufwachen, erwartet uns der angekündigte Regentag. Leider. Wir fahren bis ans Ende des Tals nach Kvikkjokk, das im Gegensatz zu Ritsem einen sehr angenehmen Eindruck auf uns macht. 75 Einwohner(!), gepflegte kleine Häuschen, auch das “Hotel” / Hüttenanlage sieht nett aus und hat einen winzigen Laden für die Wanderer des Kungsleden, in dem es mehrere Sorten Mehl gibt, und abgelaufene H-Milch.
Bei unserem Erkundungsspaziergang in strömendem Regen - und deshalb in Regenhose und -jacke - treffen wir am Fluss auf einen Schweden, der uns erst eine Kunstausstellung zeigt und dann anbietet, uns für 100 SKR mit seinem Boot mitzunehmen: Er setzt die Wanderer des Kungsleden und anderer Wanderwege, die sich hier kreuzen, über den Fluss bzw. das Seen-Gewirr und startet gerade zu seiner 40-minütigen Tour (es gibt einen Fahrplan!), um bei einer Haltestelle zu checken, ob jemand wartet, und bei einer zweiten Haltestelle drei angekündigte Frauen abzuholen. Aber zuerst machen wir noch etwas Sightseeing: er fährt uns zu den Stromschnellen, zu einem toten unter-Wasser-Elch und in einen kleinen Seitenarm einer Lagune. Es erinnert stark an eine Bootsfahrt im Urwald, wie wir sie schon in Malaysia oder Australien unternommen haben. Und Urwald ist es auch! Ein ungezähmter Fluss mit seinen Seitenarmen und Seen und all der Wildnis drum herum.
Bei der ersten Haltestelle warten tatsächlich drei schwer bepackte, triefend nasse Schweden, die seit 8 Tagen unterwegs sind, im „Wartehäuschen". Beim zweiten Halt stehen drei etwa 65- bis 70-jährige Frauen mit kleinen Rucksäcken dick in Regenzeug eingepackt - in Deutschland undenkbar. Alles in allem eine sehr lustige Bootsfahrt.
Ja, man sieht, dass es ein Regentag war - trotzdem war’s lustig.
Tag 67: Kvikkjokk: Ruhetag (5.9.)
Tagesetappe: - km, gesamt: 6967 km Ü: wild am Fluss / Bootsanlegestelle Kvikkjokk
Wir machen eine Erkundungstour zum Kvikkjokk Airport und lassen uns die „Fly in - Walk out“-Varianten von Fiskflyg erklären. Ein ortskundiger Pilot, in Kvikkjokk aufgewachsen, zählt uns ein paar Alternativen auf: eine Etappe Kungsleden oder eine Etappe Patjalantaleden, aber das liegt alles unterhalb der Baumgrenze, bedeutet also Wandern im Wald. Wir entscheiden uns für den Flug zum Vallespiken, über 1400 m hoch, ca. 15 km zu laufen. (Wir wissen noch nicht, dass dies unser Highlight des Urlaubs wird!)
Es gibt nur zwei Optionen für den Flug: 7 Uhr oder 12 Uhr, dazwischen sind die zwei Helis ausgebucht mit “Reindeer Herding”. Wir nehmen den 12 Uhr Flug für den nächsten Tag.
Nachmittags macht P. ein kleines Speedhiking auf den Snjerak (ca. 880 m hoch, Kvikkjokk liegt auf 300 m.)
Kvikkjokk Airport: Fiskflyk bringt uns zum Vallesspiken.
Tag 68: Kvikkjokk: Heliflug zum Vallespiken (6.9.)
Tagesetappe: - km, gesamt: 6967 km Ü: wild am Fluss / Bootsanlegestelle Kvikkjokk
Heute ist wieder einmal ein schönster Tag mit einem schönsten Erlebnis.
Wir machen eine Heliflug mit Fiskflyg.com und lassen uns auf dem Vallespiken absetzen, um von dort nach Kvikkjokk zurück zu laufen.
Es ist ein wunderbarer Tag. Zwar ist es eiskalt, aber fast den ganzen Tag scheint die Sonne, nur morgens ist es sehr windig mit heftigen Böen, so dass ich, Heike, nicht genau weiß, ob wir wirklich fliegen sollen. Aber wir hören und sehen die Helis starten, der Wind scheint ihnen nichts auszumachen - aber vielleicht mir?
Wir ziehen uns also warm an (lange Unterwäsche, da wir ja auf über 1400 m hoch wollen) und laufen mutig Richtung Kvikkjokk Airport. Gott sei Dank hat sich der Wind inzwischen etwas gelegt.
Der Flug ist gigantisch! Trotz des Windes findet der Heli es nicht besonders turbulent, nur ein-, zweimal sackt er etwas ab. (Ich habe allerdings prophylaktisch mal einen Kaugummi gegen Reisekrankheit im Mund.) Und die Sicht ist überwältigend. Man sieht, wie schön Kvikkjokk gelegen ist, auf der einen Seite eine Seenlandschaft, dann der Fluss mit seinen Stromschnellen und dahinter nichts als Berge, soweit das Auge reicht.
Haben wir Kvikkjokk hinter uns gelassen, schraubt sich der Heli den Berg hoch und wir sehen nur noch Fjäll - unbewaldete Berge und Hochebene und dazwischen die grünen Täler. Der Pilot sagt uns, dass sie morgens in dem einen Flusstal einen Bären gesichtet haben, versichert aber, dass das meilenweit entfernt gewesen sei.
Er setzt uns dann doch nicht ganz oben auf dem Vallespiken ab, wie ursprünglich geplant, da dieser gerade in Wolken ist und der Wind da oben wirklich fürchterlich weht. Wir machen aber einen Rundflug um die Spitze und können in die hinteren Täler schauen. Für uns ein umwerfender Blick.
Blick in den Sarek NP - das letzte unberührte Stück Europa. Blick zurück zum Vallespiken.
Nicht einmal der Heli darf die Parkgrenze überfliegen.
Etwas unterhalb des Gipfels ist ein breiter ganz langsam abfallender Grad, fast eine Ebene, auf dem wir Richtung Kvikkjokk wandern. Das iPhone zeigt 10,7 km Entfernung Luftlinie an. Das Gelände sieht gar nicht so schwierig aus. Den steilen Abstieg von der Spitze über das Geröll, haben wir ja gespart, aber auch schon hier, nur wenig unterhalb des Gipfels ist der Untergrund schon wieder nass, sehr nass mit Wollgras und Weidengestrüpp bewachsen. Aber wir sind ja jetzt schon Norwegen- und Schweden-erfahren und erkennen (meistens) von weitem an den „Indikatorpflanzen“, wo es nass wird und wo man lang gehen kann. Trotzdem wühlen wir uns ab und zu durch das weglose Gelände, gehen rückwärts, machen große Umwege. Das ist nämlich der Kick heute - es gibt wirklich nichts, nicht einmal einen Weg!
Da sehen wir etwas entfernt einen Bären! Gleich daneben allerdings ein Rentier. Bär und Rentier direkt nebeneinander - da läuft was falsch. Vielleicht doch zwei Rentiere? Nur dass man die Beine beim ersten nicht sieht, es steht hinter einem Fels und hat den Kopf gesenkt. Durch das Fernrohr sehen wir dann 20 bis 30 Tiere friedlich weidend. Toll. Beim Näherkommen weichen sie uns aus, aber wir haben genügend Zeit sie zu beobachten und zu fotografieren.
Uns es werden immer mehr Tiere. Zum Schluss haben wir zwei Herden mit 20 bzw. 30 Tieren.
Uns wurde gesagt, dass man sich immer auf dem Grad entlang Richtung Kvikkjokk bewegen muss bis zu einem kleinen Hügel, auf dem ein großes Steinmännchen steht. Dort fängt ein Pfad an, der weiter bergab durch den Wald zur Bootsanlegestelle in Kvikkjokk führt.
So meinen wir beim ersten Steinmännchen, das wir in der Ferne sehen, dass das unser Ziel ist. Aber wir lernen, dass wir von dort wieder ein Steinmännchen sehen und dann noch eins, jeweils 2 km voneinander entfernt. Hin und wieder glauben wir auch, einen Pfad zu erkennen, aber das sind nur Tierpfade und sie enden alle im Nirvana. Am Hügel mit dem richtigen Steinmännchen angekommen, machen wir Rast und hören einen Heli kommen. Da fliegt unser Pilot doch tatsächlich die Strecke ab dem Vallespiken in unsere Richtung ab und „sucht" uns. Wir winken ein „Alles okay" mit dem Daumen nach oben, er winkt zurück und fliegt über uns weiter runter ins Tal. Wir sind gerührt.
Wieviel Steinmännchen müssen wir eigentlich abwandern?
Auf dem letzten Drittel durch den Wald sehen wir einen imposanten Bärenhaufen. Der hatte wohl viele Preisel- und Heidelbeeren gegessen und wir laufen tatsächlich durch ein richtiges Heidelbeertal.
Am Fluss angekommen, müssen wir noch den Bootsservice anrufen, der uns die 100 m an den Stromschnellen vorbei hinüber zu unserem Auto bringt. Unser Bootsführer von vorgestern fährt gerade mit ein paar Touris an die Stromschnellen heran und sieht uns winken. Glück gehabt. Er selbst kann uns zwar nicht fahren, da er gerade auf einer geführten Tour ist, aber er ist wieder sehr hilfsbereit und ruft seinen Kollegen an. Nach 5 ½ Stunden sind wir mit zwei Essenspausen und einer Heidelberr-Pflück-Pause wieder zurück.
Wir waren uns zuerst nicht ganz sicher, aber „Fly in - Walk out", war eine prima Idee!
(Flug 1950 SEK, Boot 100 SEK)
Kurz vor dem Abstieg nach Kvikkjock überschaut man ein letztes Mal die grandiose Szenerie.
Tag 69: Kvikkjokk: 1. Nachtfrost am 7.9.
Tagesetappe: - km, gesamt: 6967 km Ü: wild am Fluss / Bootsanlegestelle Kvikkjokk
Entgegen der Wettervorhersage haben wir Sonnenschein, aber es ist ordentlich kalt, unter 10 °C. Wir legen einen Ruhetag mit Sonnen im Liegestuhl ein und - es ist schon Kult geworden - es gibt Heidelbeerplatz!
Kvikkjock verdient es, als Favorit in unserer Wetter-App eingerichtet zu werden. Damit starten wir eine Tradition, von jedem Land, das wir bereisen, einen Favoriten zu behalten - so wissen wir auch heute (22.6.2019) noch, dass für heute Nacht 2 °C vorhergesagt sind, brrrhh.
Tag 70: Kvikkjokk - Årrenjarka: Snjerak und Nordlicht
Tagesetappe: 19 km, gesamt: 6986 km Ü: Camping Årrenjarka Fjällby
Die Sonne scheint wieder, aber im Schatten ist es bitterkalt. Wir hatten wieder Nachtfrost. Peter will mir noch einmal die tolle Aussicht vom Snjerak zeigen (ca. 880 m, Kvikkjokk liegt auf 300 m.) Am Start der Wanderung oberhalb von Kvikkjokk gibt es ein paar Bauplätze, wunderschön gelegen - so etwas kommt unserer Vorstellung eines späteren Häuschens schon sehr nahe.
Die Wanderung geht fast nur durch Wald und zum ersten Mal in Lappland begegnen uns eine Menge Leute: es ist Wochenende und die Familien mit Kindern machen an den drei Hütten mit Grillplätzen Picknick am Feuer. Ebenso sind ganze Familien mit geschultertem Gewehr unterwegs, sie wollen „Grouse“ jagen. Das könnten Schneehühner sein oder auch „Wood Grouse" = Auerhähne. Auch gestern war ein Mann bei unserem Übernachtungsplatz, der mit seinem Boot 5 km flussaufwärts gefahren ist, um Auerhähne zu jagen.
Wir ziehen alles an, was dabei ist: Mütze, Handschuhe, Kapuze, Regenhose als Windschutz.
Der Wind pfeift, dass es einem bis ins Mark geht, sobald man oben kurz vor dem Gipfel und Aussichtspunkt aus dem Wald heraus kommt und auf die kahle Fläche trifft. Aber die Kahlheit mit rotem Herbstboden ist grandios: Auf der einen Seite die Flusslandschaft von Kvikkjokk und nach hinten ins Tal der Sarek Nationalpark. Wir gehen noch auf einen Hügel in der zweiten Reihe und der Blick auf den Sarek NP ist noch gewaltiger: Gletscher, schneebedeckte Berge, Bärengebiet.
Tagesfazit: ein schönes Abschiedsgeschenk von Laponia.
Aber es soll noch besser kommen. Spät abends sehen wir in Årrenjarka ein Nordlicht. Auch diese Kulisse ist nicht zu übertreffen: Es ist ganz klarer Himmel. Im Norden am Horizont das grüne, wabernde Nordlicht. Auf der anderen Seite ein großer, heller Halbmond, so hell, dass man durchs Fernrohr noch die dunkle Seite sieht und Myriaden von Sternen - ein Himmel so klar, wie es ihn in Mitteleuropa nicht mehr gibt. Wir sehen durchs Fernrohr die Jupitermonde, und den Sternenhaufen der Plejaden sieht man auch mit bloßem Auge sehr deutlich. Nordlicht, Mond, auch Jupitermonde und Plejaden bannt P. aufs Foto.
Hinterher gibt es Glühwein und Cookies mit huge Chocolate Junks im Auto, nicht am Lagerfeuer. Dazu ist uns wirklich zu kalt!